Die Mär vom perfekten Hund - oder: wie Piri mich das scheitern lehrte

Ich habe lange überlegt, ob ich Blog und Hundeschule miteinander verbinden soll. Einerseits bin ich der klassische Laberkopp, der meint, die Welt mit seinen Ansichten beglücken zu müssen, anderseits bin ich furchtbar schlecht, wenn es um Werbung geht. Vielleicht vergraule ich meine Kunden, wenn ich über meine eigenen Fehlschläge schreibe?

 

Aber sein wir doch ehrlich: es ist viel lustiger darüber zu lesen, wie sich mal wieder jemand, der es eigentlich besser können sollte, zum Affen gemacht hat, als Berichte darüber, wie unglaublich toll und perfekt der Hund war oder wie moralisch-ethisch wertvoll man handelt oder wie man mal wieder die Weisheit mit Löffeln gefressen hat.

 

Und ich weiß, viele Hundebesitzer sind glücklich, wenn sie sehen, wie Piri die Große wau-wau-wau-wau machend neben mir herläuft, weil sie vor lauter Aufregung mal wieder nicht die Klappe halten kann. Ich kenne es ja selbst. Nichts ist besser für die Seele, als einen Hund zu sehen, der sich noch schlechter benimmt, als der eigene!

 

Wenn es eins gibt, was die Welt nicht braucht, dann noch eine Hundetrainerin, die von ihren Wundertaten berichtet und geschickt unter den Tisch fallen lässt, wenn es mal nicht so klappt, wie gedacht. Das heißt, wenn ich blogge, dann ehrlich oder gar nicht. Auch und gerade über meine eigenen Hunde.

 

Ehrlichkeit ist ein heikles Thema. Hundetrainerhunde haben schließlich perfekt zu sein, oder? Wozu soll man den Leuten Geld bezahlen, wenn sie nicht mal ihre eigenen Hunde im Griff haben?

 

Vor einiger Zeit war ich bei einem Seminar und dort war auch eine in Deutschland sehr bekannte und von mir auch für ihre Kompetenz sehr geschätzte Trainerin mit ihren Hunden. Wir standen auf einer riesigen Wiese und ihre Hunde entfernten sich immer weiter. Irgendwann liefen sie ewig weit weg am Waldrand herum.

 

Ich war schwer beeindruckt. So viel Vertrauen! Ich hätte meine Hunde schon längst abgerufen. Es könnte ja plötzlich etwas Unvorhersehbares auftauchen und auf diese Entfernung hätte ich dann nicht mehr rechtzeitig eingreifen können. Aber nein, diese Trainerin vertraute ihren Hunden, bestimmt, weil sie sie bis zum letzten i-Tüpfelchen ausgebildet hatte. Ich fühlte mich wie ein Versager bei dem Anblick.

 

Dann sagte jemand: "Willst Du nicht mal Deine Hunde zurückrufen? Die sind ganz schön weit weg."

 

Und die in Deutschland sehr bekannte und von mir sehr geschätzte Trainerin antwortete: " Die kommen jetzt sowieso nicht, wenn ich rufe, ich mach' mir da nur meinen Abruf kaputt."

 

Jau! Was ich dadurch gelernt habe, ist folgendes: auch Trainer haben keine perfekten Hunde. Nicht mal wirklich gute Trainer.

 

Ich hätte vielleicht nicht genug Vertrauen, um meine Hunde so weit weglaufen zu lassen, aber ich wusste, ich hätte meine Hunde in der beschriebenen Situation problemlos abrufen können.  

 

Ist sie deshalb eine schlechte Trainerin? Nein, ist sie nicht. Im Gegenteil. Sie konnte ihre Hunde gut einschätzen. Sie wusste, was sie leisten können und was nicht mehr. Und sie hat die Situation entsprechend beurteilt und die Entscheidung getroffen, dass auf dieser Wiese ein tolerierbares Risiko bestand und sie die Hunde deshalb laufen lassen konnte.

 

Meine Piri hat mich lange daran zweifeln lassen, ob ich wirklich als Hundetrainerin geeignet bin. Seit nunmehr sieben Jahren versuche ich ihr einigermaßen erfolgreich zu erklären, dass all das, was sie in den ersten vier Jahren ihres Lebens gelernt hat, nicht mehr zählt.

 

Stellt Euch vor, man schickt Euch auf einen anderen Planeten und erzählt Euch, alles was ihr bisher gelernt habt, was ihr über soziales Verhalten und menschliches Zusammenleben wisst, ist nicht mehr richtig. Stattdessen gelten jetzt neue Regeln, die denen, die ihr bisher kanntet, völlig widersprechen. Würdet Ihr sagen, ja klar, sicher doch, machen wir so? Oder würde es Euch auch nach Jahren immer wieder passieren, dass Ihr in alte Verhaltensmuster zurück fallt?

 

Manche Hunde können sich von ihrem vorherigen Leben befreien. Mein Wolli ist so ein Kandidat. Im Tierheim hatte er einen ausgesprochen schlechten Ruf. Seine Untaten wurden mir auf einer DINA4 Seite aufgelistet und ich habe unterschrieben, dass ich ausreichend informiert wurde, was ich mir da anlache.

 

Ich war mir sicher: das kann man hinkriegen. Und so war es auch. Wolli hat sein altes Leben so ziemlich hinter sich gelassen und ist mit seinem neuen Leben vollauf zufrieden. Perfekt ist er trotzdem nicht, aber meine Erwartungen hat er alle mehr als erfüllt. Vielleicht auch, weil Piri mich einiges über das Thema "realistische Vorstellungen" gelehrt hat.

 

Bevor Piri zu mir kam, war "Scheitern" für mich kein Thema. Wenn ich etwas wollte, dann habe ich es durchgezogen. Genauso hatte ich es mir mit Piri vorgestellt. Ich habe die Probleme, die sie mir zur Lösung vorlegte, analysiert, habe mir bei Experten Rat geholt, habe die nötigen Ressourcen organisier, habe einen Plan aufgestellt, mir Timelines und Zwischenziele gesetzt und dann bin ich das ganze angegangen.

 

Und Piri sagte: "Nö."

 

Ich habe meine Vorgehensweise überdacht und adaptiert, habe bei noch mehr Experten Rat gesucht, habe meine Timelines verlängert und meine Zwischenziele verkleinert und bin das ganze noch mal von vorne angegangen.

 

Und Piri sagte: "Nö."

 

Ich war mir lange, lange sicher, dass ich nur dran bleiben muss, nicht aufgeben, dazu lernen und irgendwann würde ich mein Ziel erreichen.

 

Das war vor sieben Jahren. Wir haben eine Menge erreicht, aber das, was ich ursprünglich mal im Kopf hatte, habe ich mir inzwischen aus selbigem geschlagen.

 

Denn Piri sagt dazu: "Nö."

 

Im Nachhinein hätte ich es mir denken können. Piri, die angedachte Diensthündin, wurde ausgemustert, weil sie den Anforderungen auch nach vier Jahren Training immer noch nicht genügte. Sie konnte zwar eigentlich alles, fiel aber trotzdem durch jede Prüfung.

 

Ist es da ein Wunder, dass sie meinen Anforderungen an einen alltagstauglichen Familienhund auch nicht genügte? Für den alltagstauglichen Familienhund ist jeder Tag eine Prüfung, nämlich sobald er in Kontakt mit anderen Lebewesen gerät. Und Piri lehnt Prüfungen kategorisch ab.

 

Unter Druck verweigert sie jegliche Performance. Sie schaltet einfach ab und macht dicht. Feierabend. Selbst Dinge, die sie gerne macht und aus dem FF beherrscht funktionieren nicht, wenn ich sie ihr unter Druck abverlange.

 

Wenn ich etwas von ihr will, gibt es nur einen Weg: jegliche Erwartung ad acta legen. Dann kann sie auf einmal.

 

Wir leben in einer Welt, in der der Druck, den perfekten, braven, zu allen und allem freundlichen und duldsamen Hund zu haben, enorm ist. Piri hat mir gesagt, sie macht da nicht mit. Ich habe lange gebraucht, das zu akzeptieren, aber irgendwann habe ich es getan. Seitdem hat sich zwischen uns eine Beziehung entwickelt, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Piri ist "mein Hund" und schmeißt mir alles, was sie zu bieten hat (und das ist eine Menge) bedingungslos vor die Füße. "Da, Frauchen, kannst Du haben!"

 

Das rufe ich mir immer wieder ins Gedächtnis, wenn ich mich ärgere, dass wir die letzten Schritte nicht hinbekommen. Dann muss ich mir selbst eins vor den Hinterkopf geben und mich daran erinnern, wie es mal war und wie es jetzt ist und was sie alles für mich getan hat und für mich tut. Und dann fühle ich mich auf einmal ganz klein und undankbar. 

 

Und sein wir ehrlich: Piri lässt mich zwar an meinen Hundetrainerinnenfähigkeiten zweifeln, aber Piri ist es auch, für die ich soviel gelernt habe, dass ich jetzt mit Perlen der Weisheit um mich schmeißen kann. Mit netten, gut sozialisierten Welpen hätte ich das nicht geschafft. Dann würde ich mir vielleicht einbilden, dass ich's voll drauf habe, denn der Beweis - der gut erzogene Hund - steht ja neben mir. Aber wenn man 24h am Tag/ 7 Tage die Woche mit einem schwierigen Hund zusammen lebt, dann gehen einem Dinge in Fleisch und Blut über, an die man sonst nicht einmal denken würde. Und was vielleicht noch wichtiger ist: man weiß, was es bedeutet. Man kennt den Leidensdruck, die Sorgen, die Ängste, die Verzweiflung. Aber auch das Glücksgefühl über winzige Fortschritte und Kleinigkeiten, die auf einmal klappen.

 

Ja, und noch etwas habe ich gelernt: Hundetrainer einzuschätzen. Denn natürlich bin ich auf der Suche nach Hilfe durch die Instanzen gegangen und ich habe erkannt: es gibt gar nicht so viele Trainer, die wirklich Erfahrung mit Hunden wie ihr haben und die mir weiterhelfen konnten. Es gibt vielleicht eine Handvoll verstreut über ganz Deutschland.

 

Und daher kann ich heute sagen: Scheitern ist relativ. Den perfekten Hund habe ich nicht bekommen. Aber vielleicht den Hund, der perfekt für mich ist.

 

 

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