Wolli ist inzwischen so ca. 500 Jahre alt. Vielleicht älter. Wir wissen es nicht genau. Das Tierheim konnte uns nur einen Schätzwert nennen.
Hieß es bisher noch immer "echt, so alt ist der schon?" zweifelt inzwischen niemand mehr daran, dass unser kleiner Methusalix ein biblisches Alter erreciht hat.
Er wird nicht nur immer grauer, er hat dieses Jahr auch sonst deutlich gemacht, dass er kein jugendlicher Hüpfer mehr ist. Der Rücken macht nicht mehr mit. Die Sinnesleistungen lassen rapide
nach. Und Gassi gehen ist auch nicht mehr so wirklich sein Ding.
Zunächst dachten wir ja noch, mit Physiotherapie und Schmerzmitteln kriegen wir ihn vielleicht wieder auf die Beine, aber Wolli sagt: nein.
Nichts desto trotzt ist er geistig noch immer gut dabei und nur, weil die Beine nicht mehr wollen, heißt das nicht, dass er nicht noch was vom Leben haben will. Und zu Hause bleiben, während Piri über seine Lieblingswiesen prescht, nee, das findet er doof. Daher haben wir beschlossen: Wolli braucht einen fahrbaren Untersatz.
Seit einiger Zeit ist der Wollmops stolzer Besitzer des Wollimobils. Den ersten Ausflug fand er noch gewöhnungsbedürftig, aber Wolli ist nicht nur verfressen, ein Sturkopf und ausgesprochen schlau, er ist vor allem eins: ein praktisch veranlagter Hund. Das haben wir ausgenutzt und den zweiten Ausflug bei strömendem Regen unternommen. Dannach war Wolli überzeugt. Trocken bleiben, auch wenn alle anderen klatschnass werden? Prima!
Wolli ist zufrieden, wir sind zufrieden, aber wir stoßen auch auf Leute, die den Kopf schütteln. Einen Hund im Kinderwagen herumfahren? Bekloppt!
Ja, aber so sind wir nun mal. Wolli hat von seinen ca. 500 Lebensjahren nur gute drei bei uns verbracht. Die anderen 497 Jahre waren ... gelinde gesagt ... nicht prickelnd. Falls er überhaupt
jemals ein zu Hause gehabt hat, war es kein schönes. Und darum wollen wir, dass Wolli seinen Lebensabend bis zum letzten Tropfen auskosten kann. Wenn dazu gehört, ihn im Wollimobil immer mal
wieder zu all seinen Lieblingsplätzen zu fahren, damit er dort über die Wiesen stolpern kann, dann werden wir das tun.
Alte Hunde sind teure Hunde. Ich weiß, wovon ich rede. Piri ist ja auch schon elf Jahre alt und hat so ihre Wehwechen und wenn es Wolli gut geht, dann fahren wir halt mit ihr zum Tierarzt. Wir
haben ja sonst nichts zu tun.
Wenn nicht der Rücken schmerzt, dann legt man sich halt so heftigen Durchfall zu, dass man sich eine Übernachtung in der Tierklinik leisten kann und ewig lange nur Huhn und Reis im Napf hat, oder
man stößt sich den Dickkopf so heftig an, dass das Trommelfell reißt oder man hat eine Bindehautentzündung oder vielleicht auch mal was ganz anderes.
Außerdem wird Wolli wohl, so lange es noch Sinn macht, einmal wöchentlich Physiotherapie machen (und wenn es keinen Sinn mehr macht, dann dürfte es auch Zeit zum Abschiednehmen sein) und ich habe das dunkle Gefühl, wenn der Punkt gekommen ist, an dem es keinen Sinn mehr macht, dann fahren wir anschließend Piri regelmäßig zum Unterwasserlaufband.
Ist es das wert? Ach, sein wir doch mal ehrlich: so lange Wolli noch lebt (und das ist hoffentlich noch ein Weilchen der Fall) können wir eh keinen Urlaub mehr machen. Das wollen wir ihm nicht mehr zumuten. Investieren wir das Geld halt in Tierarzt, Physiotherapie und altersgerechtes Hundeequipment.
Ich denke, wenn man irgendwann am Ende seines Lebens zurückblickt, und sich fragt, was war mir wichtig, dann wird es nichts mit materiellen Dingen zu tun haben sondern mit Erlebnissen. Und diese Tage, mit meinen beiden alten Hunden, die sind schon was besonderes.
Man macht sich keine Sorgen mehr um Training und Erziehung oder um Probleme, die man mal gehabt hat. Das ist alles nicht mehr so wichtig. Man kann auch großzügiger sein, die Konsequenz mal schleifen lassen, dem Betteln am Kühlschrank oder aufdringlichem Verhalten nachgeben.
Man nimmt jeden einzelnen Tag und versucht, das beste draus zu machen, denn man weiß viele werden es nicht mehr sein. Noch mal auf die Lieblingswiese, noch mal diesen Weg gehen oder jenen. Noch mal fünf Minuten knuddeln, auch wenn man es gerade eilig hat. Runter zum Bach oder eine Dusche unter dem Gartenschlauch, auch wenn ein nasser Hund gerade wirklich unpraktisch ist.
Sich Zeit nehmen.
Zeit ist ja etwas, das wir alle zu wenig haben, aber wenn ich mir meine beiden alten Hunde anschaue, dann denke ich auch darüber nach, was ich mit meiner Zeit anfangen will. Will ich hektisch von einem Termin zum anderen rennen oder will ich lieber mit Wolli auf der Couch kuscheln? Ist mir ein sauberes Haus wichtig oder eine Trödelrunde mit Piri durch den abendlichen Taunus? Will ich Dinge oder will ich Erinnerungen?
Ich habe mir nie so viele Gedanken um wollen und müssen und dürfen gemacht, wie im Moment und stelle fest, ich habe immer viel zu viel wert auf "müssen" gelegt. Meine Hunde haben mich gelehrt, mehr auf "wollen" und "dürfen" zu achten. Nicht so streng mit mir zu sein. Fünfe gerade sein lassen. Mit den Schultern zucken, wenn Leute komisch reagieren.
Dafür bin ich ihnen dankbar. Und für vieles andere natürlich auch.
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