Erziehung, Ausbildung und Verhaltenstherapie

"Sitz und bleib" als Teil der Ausbildung
"Sitz und bleib" als Teil der Ausbildung

Wenn der Satz fällt "Ihr Hund ist aber gut erzogen", dann wird häufig gemeint, er ist gut ausgebildet.

 

Ich unterscheide bei meinem Training zwischen Erziehung, Ausbildung und Verhaltenstherapie. Erziehung ist alles, was zum täglichen "guten Benehmen" gehört, also höfliches Verhalten gegenüber Hunden, Menschen und sonstigen Lebewesen, sich zurückhalten können, das Essen auf dem Tisch stehen lassen, die Wohnung ganz lassen, unterwegs nicht verloren gehen, auch mal Geduld haben, etc.

 

Ausbildung dagegen ist alles, was man auch als "Dressur" bezeichnen könnte. Das beginnt mit "sitz" und "platz", mit lockerem an der Leine laufen und zuverlässigem Rückruf und kann bis hin zum voll ausgebildeten Rettungs- oder Blindenhund gehen.

 

Verhaltenstherapie dagegen kommt ins Spiel, wenn ein Hund mit seiner Umwelt nicht zurecht kommt. Dies kann sich in übergroßer Ängstlichkeit äußern, Hyperaktivität, Stereotypien oder eben auch in aggressivem Verhalten.

 

Warum diese Unterschiede? Der Hund soll doch "nur" machen, was der Halter sagt? Ist es nicht egal, warum?

 

Fangen wir mit dem einfachsten an: Ausbildung. Wenn ich meinen Hund ausbilde, so mache ich dies in der Regel in kleinen Übungseinheiten. Die Aufgaben sind so gestellt, dass der Hund in der Lage sein sollte, sie zu bewältigen. Ich achte auf seine momentane Stimmung, den Grad der Ablenkung, motiviere ihn, mitzuarbeiten und habe meine Belohnungen parat. Ich weiß genau, was ich von meinem Hund erwarte und habe ihm dies mitgeteilt.

 

Kurz: Ausbildung findet in einem von mir kontrollierten, zeitlich begrenzten Rahmen statt.

 

Erziehung dagegen ist ein dauerhafter Zustand. Erziehung erfordert, dass ich mich um meinen Hund kümmere und ihn entsprechend anleite, ihm Feedback gebe, wenn er sich gut oder daneben benimmt. Die Bedingungen sind nicht von mir gesteckt und ich kann sie nur in Maßen kontrollieren. Besucher kommen vielleicht auch dann, wenn ich noch nicht fertig trainiert habe, dass man ihnen nicht die schlammigen Pfoten auf die Brust hämmert. Wir begegnen anderen Hunden, obwohl mein Hund immer noch durch unhöfliches, distanzloses Verhalten gegenüber Fremden glänzt.

 

Kurz: Erziehung ist ein Dauerzustand, der sich in der realen Umwelt abspielt, so dass ich die Bedingungen nur teilweise kontrollieren kann. Erziehung beinhaltet keine Tricks und keine befolgten Signale sondern einzig und allein sozial adäquates Benehmen.

 

Was bedeutet dies für mich? Nun, im Rahmen der Ausbildung steht die Motivation des Hundes an erster Stelle. Ich versuche es zu vermeiden, ihn zu korrigieren sondern lasse ihn lieber selbst herausfinden, wie er sich die Belohnung verdienen kann. Auf diese Weise sitzt das erlernte besser und der Hund behält den Spaß an der Sache.

 

Im Rahmen der Erziehung versuche ich zwar, die gleichen Methoden anzuwenden, wie bei der Ausbildung, aber es ist nicht immer möglich, weil die reale Umwelt regelmäßig dazwischen kommt. Auch können Hunde meiner Erfahrung nach sehr gut unterscheiden, ob eine Situation "echt" oder "gestellt" ist. Was in Trainingssituationen prima klappt, funktioniert im realen Leben noch lange nicht.

 

Trotzdem muss ich meinem Hund erklären, was er darf und was nicht. Er muss lernen, ein "nein" zu akzeptieren und Konsequenzen hinzunehmen, wenn er dieses nicht befolgt. Er muss lernen, dass es Grenzen und Regeln gibt und soll trotzdem in der Lage sein, sich selbstbewusst innerhalb dieser Grenzen zu bewegen.

 

Erziehung ist viel anspruchsvoller als Ausbildung. Sie enthält Unmengen von Dingen, die der Hund tun und lassen soll. Viele davon widersprechen seiner Natur, sind in unserer Umwelt aber trotzdem unumgänglich. Jeder Hund lernt ziemlich schnell sitz, platz, bei Fuß, aber ihn zu einem verträglichen, selbständigen Hund mit Charakter zu erziehen, das ist eine Aufgabe für's Leben.

 

Zeigt der Hund Verhaltensweisen, die darauf hin deuten, dass er mit seiner Umwelt generell oder einzelnen Aspekten (andere Hunde, fremde Menschen, Verkehr, Lärm, etc.) überfordert ist, dann kommt die Verhaltenstherapie ins Spiel. Im Rahmen der Verhaltenstherapie versucht man, die Gefühle des Hundes zu beeinflussen, indem man mit ihm Bewältigungsstrategien für bedrohliche Situationen entwickelt. Soll ein Hund lernen, alleine zu bleiben, ohne die Wohnung zu zerstören, dann muss ich ihm erstmal die Trennungsangst nehmen. Um ihn dauerhaft von aggressivem Verhalten abzubringen, muss ich erreichen, dass er sich auch nicht mehr dazu genötigt fühlt, anzugreifen.

 

Die Ansätze für erfolgreiches Verhaltenstraining entsprechen in erster Linie denen der Ausbildung. Man versucht, die Umwelt des Hundes erstmal so zu gestalten, dass er mit ihr zurecht kommt und baut mit viel Motivation alternative Verhaltensweisen auf, die der Hund später selbständig abrufen kann. Ziel ist auch hier, dass der Hund sicher und selbstbewusst die "gefährliche" Situation meistert und angemessen reagieren kann. Es bedeutet nicht, dass der Hund nie wieder einen anderen Hund anbellt oder sich von jedem anfassen lässt, sondern dass er Strategien erlernt, wie er seine Emotionen angemessen äußern kann, anstatt sich gleich auf den Auslöser zu stürzen.

 

Ein großer Teil der Verhaltenstherapie ist daher der Entspannung gewidmet, denn auch Entspannung kann man lernen. Ein aufgeregter Hund wird schneller aggressiv als ein relaxter und eine dauerhafte Senkung des Erregungslevels löst eine Menge Probleme. Auch typgerechte Auslastung kann eine wichtige Rolle spielen. Für einen hyperaktiven Hund wäre z.B. Nasenarbeit empfehlenswerter als Highspeed-Agility.

 

Leider kommt einem auch hier die Realität immer wieder dazwischen, was Verhaltenstherapie oft etwas kompliziert gestaltet. Der Postbote klingelt, man steht gerade auf einer vierspurigen Straße auf einer Verkehrsinsel während auf der anderen Straßenseite ein Hund vorbeiläuft, man biegt um eine Ecke und rennt direkt in einen Menschen mit Hut und Krückstock. Auch weigern sich Nachbarn in der Regel, ihre Hunde ganztägig im Haus zu lassen, damit man in Ruhe an ihren Zäunen vorbei laufen kann, und selbst mit Auto mag es schwierig werden, nur noch ruhige Gassigebiete aufzusuchen.

 

Daher werden zusätzlich Hilfestellungen etabliert, um den Hund auch in solchen Momenten sicher durch die Situation führen zu können. Mehr dazu demnächst unter "Training vs Management".

 

Unter'm Strich ist das nun natürlich wieder eine sehr schematische Einteilung. Im Realfall kann man nicht immer so ganz genau trennen.

 

Ein Beispiel:

 

Lobo zieht an der Leine. Woran liegt es? Es kann ein Ausbildungsproblem sein, wenn Lobo nie richtig gelernt hat, was lockeres an der Leine laufen überhaupt ist. Es kann auch ein Erziehungsproblem sein, wenn Lobo zwar zuverlässig an der Leine laufen kann, aber seinen eigenen Ideen nachgeht, sobald er etwas Interessantes wahrnimmt. Es kann ein Problem für die Verhaltenstherapie sein, nämlich wenn Lobo so von seiner Umwelt überfordert ist, dass er nicht mehr in der Lage ist, Gelerntes abzurufen. Und letztendlich kann es ein bisschen von allem sein. Entsprechend unterschiedlich sieht das Training aus.

 

Im ersten Fall würde es ausreichen, das Leinelaufen noch mal neu aufzubauen und an verschiedenen Orte und unter verschiedenen Ablenkungen zu üben. Im zweiten Fall müsste man sich die generelle Beziehung zwischen Lobo und seinem Halter anschauen und vielleicht an der Konsequenz arbeiten, mit der Signale durchgesetzt werden. Im dritten Fall würde man Lobo zeigen, wie er sich mit seiner Umwelt auseinandersetzen kann und mit dem Halter üben, seinem Hund mehr Sicherheit zu geben. Und gegebenenfalls wäre eine Kombination von allen dreien Ansätzen nötig.

 

Es gibt andere Trainingsansätze, nach denen die Beweggründe des Hundes irrelevant sind. Ich persönlich halte jedoch die oben genannte Trennung für sinnvoll und würde bei unterschiedlichen Beweggründen auch unterschiedlich trainieren.

 

Braucht jeder Hund Erziehung? Ja. Braucht jeder Hund eine Ausbildung? Nein. Ein Hund kann auch ohne sitz, platz, bei Fuß ein gut angepasster, freundlicher, zuverlässiger Hund sein, während ein Hund der hundert verschiedene Tricks beherrscht trotzdem ein grottenschlechtes Sozialverhalten an den Tag legen kann. Aber es macht das Leben einfacher, wenn der Hund ein paar Grundbegriffe beherrscht und wenn man nicht gerade in ländlicher Abgeschiedenheit lebt, kommt man auch kaum drum herum. Außerdem macht es Spaß (auch dem Hund), lastet aus und vertieft die Beziehung. Und eine gute Beziehung ist die Voraussetzung für eine gute Erziehung.

 

Bleibt noch die Frage: wie sieht es mit Problemen aus, die auf normalem Hundeverhalten beruhen? Ein Wachhund der wacht und ein Hütehund der hütet braucht in der Regel keine Verhaltenstherapie sondern eine gründliche Ausbildung und die Möglichkeit, seinem Trieb kontrolliert oder in Ersatzbeschäftigungen nachzugehen. Auch ein Jagdhund der Rehen und Kaninchen hinterher rennt, hat kein Verhaltensproblem. Anders sieht es aus, wenn er bei jeder Fliege und jedem Blatt das volle Jagdprogramm abspult.

 

Die Frage ist immer: ist die Reaktion dem Reiz angemessen oder schießt der Hund völlig über das Ziel hinaus? Wie so oft in der Hundeerziehung macht auch hier die Intensität die Musik.