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Entspannter, zufriedener Hund ... leider ist es nicht immer so
Entspannter, zufriedener Hund ... leider ist es nicht immer so

Erregungslevel und Impulskontrolle und Frustrationstoleranz und wie das alles zusammenhängt

 

Es gibt Tage, da bin ich ein schlechter Hundehalter. Ein ganz schlechter Hundehalter. Manchmal scheint das Leben nur aus Stress zu bestehen. Stress bei der Arbeit, man muss dringend einkaufen, die Wäsche stapelt sich in allen Ecken, das Haus ist dreckig, das Auto noch viel mehr, man muss sich mit Handwerkern herumschlagen, viel mehr Termine vereinbaren, als der Tag Stunden hat, die Schwiegermutter jammert, weil sie schon soooo lange nicht mehr besucht worden ist und dann will man noch mal eben mit den Hunden Gassi gehen, ein bisschen frische Luft schnappen, Ruhe und Stille im Wald genießen und was machen die Viecher? Machen soviel Stress, wie sie nur in eine durchschnittliche Gassirunde reinquetschen können.

 

Ich bin das nicht mehr gewöhnt. Piri alleine ist inzwischen klasse. Wolli alleine ist sowieso easy. Zusammen benehmen sie sich nicht ganz so gut, aber in der Regel kann ich nicht meckern. Nur manchmal, ja manchmal, dann dreht Piri ab wie in alten Tagen und wenn Wolli dabei ist wird das alles noch viel schlimmer und dann könnte ich aus-rast-en.

 

Und manchmal tue ich das dann auch.

 

Nein, auch wenn ich stinkwütend bin, werden meine Hunde nicht verhauen. Aber ich brüll sie an, dass wahrscheinlich 10 km weiter noch die Fensterscheiben wackeln. Oder ich lass Piri gnadenlos in die Leine springen und denke "das hast Du nun davon". Oder ich schlörre Wolli einfach hinterher, weil ich nicht zum siebenhundertsten mal geduldig von der Schnüffelstelle abrufen will. Und Freilauf ist gestrichen. Oder. Oder. Oder.

 

Das ist natürlich doof und hinterher schäme ich mich ganz doll. Aber man ist auch nur ein Mensch und Gassirunden mit 1,5 Hibbelhunden können die Hölle sein. Piri rast dann herum, versucht Wolli eine zu knallen, weil der da so doof rumsteht, überlegt es sich anders, rast wieder los, will ein Leckerli, findet eine frische Spur, sucht einen Knüppel, lässt ihn fallen, findet einen Riesenast, rast mit dem herum, haut ihn mir in die Kniekehlen, knallt ihn Wolli vor dem Kopf, wickelt mich in die Leine, wickelt Wolli in die Leine, wird noch hysterischer, weil sich da was um ihre Beine wickelt, aber ich kann sie nicht befreien, denn inzwischen ist Wolli zur Salzsäule erstarrt, weil sich was um seine Beine gewickelt hat und er will, dass ich jede seiner Pfoten einzeln hochhebe, um ihn zu entwirren. Das geht aber nicht, weil die verknotete Piri hüpft und kreischt und an der Leine zerrt. Inzwischen bin ich auch mit verknotet und zielsicher kommt in diesem Moment ein Hund um die Kurve ...

 

Heute z.B.. bei idyllischem Schneefall auf eisglatter Straße, war ich noch nicht richtig losgegangen, da lag ich schon auf der Nase, zwei hüpfende Hunde an zwei Leinen, ein bellender fremder Hund voraus. Und dann, als Wolli mit bellen fertig war, stellt er fest, oh, toll, Frauchen am Boden, Futterbeutel in Nasenhöhe, da kann man doch mal...

 

Es soll Menschen geben, die auch in solchen Situationen die Beherrschung nicht verlieren und die Gelegenheit dazu nutzen, um durch freies Formen dem Hund beizubringen, sich rückwärts vom Futterbeutel zu entfernen, bevor er diesen dann zur Belohnung plündern darf.

 

Ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Piri stellte sich immerhin, nachdem sie mich umgerissen hatte, vor mich, um ihr gestraucheltes Frauchen vor allen Gefahren der Welt zu schützen (auch nicht wirklich hilfreich, aber ich weiß ihre guten Absichten zu schätzen), aber erst Frauchen zu Fall bringen, um dann noch dreisten Diebstahl anzuhängen? Nee, da reißt einem dann der Geduldsfaden.

 

In dieser Situation die Hunde anzubrüllen bringt natürlich gar nichts, aber es ist selbst belohnend und bei gesteigertem Erregungszustand ist auch beim Menschen die Impulskontrolle herabgesetzt, mit Frustrationstoleranz ist auch nix mehr und dann... brüllt man halt mal seine Hunde an.

 

Eigentlich ist das gar nicht schlecht. Man lernt nämlich was. Nein, der Hund lernt nix, aber der Mensch. Und zwar, wie unsere Hunde sich manchmal fühlen. Erst gab's Zoff mit dem Nachbarhund, dann musste man auf eine Familienfeier wo alle an einem herumgetatscht haben, Handwerker dröhnen im Haus und man darf nicht hin und sie kontrollieren obwohl man doch eigentlich als Wachhund angestellt ist, der unkastrierte Rüde von drei Straßen weiter hat dreist an unseren Zaun gepinkelt, ständig klingelt es an der Haustür, die Rottidame von gegenüber bellt im Garten, man musste im Auto warten, weil Frauchen noch schnell in den Supermarkt wollte, der andere Hund durfte dann auch noch zuerst aussteigen, man möchte gerne rennen, aber Frauchen trödelt herum und macht die doofe Leine nicht ab, letztere wickelt sich um die Pfoten, man hat sein Spieli im hohen Gras verloren und dann, ja dann kommt da noch dieser doofe Hund von vorne und man weiß ja, man sollte eigentlich brav sein und Blickpingpong spielen und bei Frauchen bleiben, aber Himmel Herrgott noch mal, man ist doch auch nur ein Hund und dann, ja dann.... Peng!

 

Aus diesem Grund ist der Erregungslevel so unglaublich wichtig. Auch Hunde haben Stress, können genervt sein, möchten einfach mal ihre Ruhe und bekommen sie nicht. Wenn sie dann in eine schwierige Situation geraten, überfordert sie das genauso wie uns. Aus diesem Grund sollte auf einen stressigen Tag immer ein ruhiger Tag folgen, z.B nach einer Familienfeier ein entspannter Spaziergang auf der Lieblingsrunde. Ein Hund, der ständig am oberen Limit seiner Toleranzgrenze lebt, wird trotz allen Trainings der Welt nicht umweltkompatibel werden.

 

Der Erregungslevel ist also mit ein entscheidender Faktor dafür, wie viel Frustration ein Hund ertragen kann. Musste er schon viel aushalten, weil er nicht rennen durfte, nicht mit dem Kumpel spielen, nicht den Erzfeind verdreschen, nicht den Besuch abschlabbern und nicht den Lieblingsball haben, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass er auch die nächste Herausforderung mit Gelassenheit hinnimmt. Natürlich muss ein Hund lernen, mit Enttäuschungen umzugehen, aber man muss auch berücksichtigen, wie es denn gerade um die psychische Verfassung steht. Auch wir haben immer mal einen schlechten Tag und sind genervt. Unseren Hunden geht es nicht anders.

 

Die berühmte Impulskontrolle spielt in die gleiche Richtung. Unsere Hunde sollen ihren Wünschen nicht sofort, also impulsiv, nachgeben sondern erst überlegen, sich zurücknehmen und um Erlaubnis bitten. Das ist schwierig, wenn man schon den ganzen Tag gestresst ist. Man denke nur an impulsives Schokoladeessen. Wir wissen auch, dass die Tafel da eigentlich im Schrank liegen bleiben sollte und es ganz bestimmt nicht richtig ist, sie sich jetzt mal eben zwischendurch rein zu ziehen, weil man gerade so genervt ist. Man tut es trotzdem. Auch Raucher dürften wissen, wovon ich spreche. Und wenn wir es selbst nicht hinbekommen, dann sollte uns doch klar sein, was für eine Leistung wir hier von unseren Hunden erwarten, oder?

 

Ganz wichtig ist Impulskontrolle ja beim Antijagdtraining. Bei Sichtung eines Rehs soll der Hund nicht kopflos hinterher rennen sondern etwas tun, was allen seinen Instinkten widerspricht. Eine Meisterleistung, die er da erbringt. Und in hohem Maße abhängig vom Erregungslevel.

 

Eine klassische Situation ist die folgende: Man läuft so vor sich hin, Hund ist entspannt, vor einem taucht ein Reh auf, Hund schafft es trotzdem, auf den Abruf zu reagieren und man ist stolz wie Oskar. Zehn Minuten trifft man das nächste Reh und der Hund ist weg. Warum? Beim ersten Reh war er entspannt und so klappte es mit der Impulskontrolle. Jedoch hat die Rehsichtung gereicht, um das Erregungsniveau des Hundes deutlich anzuheben. Beim zweiten Reh war es daher zu hoch und der Hund hat's nicht mehr geschafft, zu hören.

 

Daher ist es gerade auch bei jagdtriebigen Hunde so wichtig, die Gesamtlage im Auge zu behalten. In einer wildreichen Gegend besteht immer die Gefahr, dass der Hund sich langsam aber sicher hochspult, auch wenn er lange, lange noch gut ansprechbar ist. Irgendwann kann es kippen.

 

Meiner Ansicht nach wird der Erregungslevel beim Hundetraining viel zu oft außer Acht gelassen. Es ist halt kompliziert, es ist langwierig, auch als Mensch muss man oft weniger als mehr tun und das, obwohl man doch gerne aktiv werden möchte, damit es besser klappt mit dem Hund. Auch stehen wir selbst oft unter Stress und übertragen diesen unbewusst auf unsere Hunde. Schon mal bemerkt, dass der Hund sich immer dann besonders schlecht benimmt, wenn wir auch einen schlechten Tag hatten? Das ist kein unglücklicher Zufall oder pure Gemeinheit des Hundes sondern es zeigt, wie eng sich unsere Hunde uns verbunden fühlen. Unser Stress ist ihr Stress.

 

Leider stelle ich immer öfter fest, dass der Erregungslevel zu einem Prestigeobjekt geworden ist. Natürlich ist der eigene Hund entspannt und hat auf gar keinen Fall Stress. Nie. Schließlich ist man Experte in konditionierter Entspannung und so hat, wer auf sich hält, einen immer entspannten, relaxten Hund.

 

Ich kann nur wieder sagen: ich gehöre nicht zu diesen Menschen. Ich habe mal entspannte Hunde und mal gestresste Hunde. Piri ist obendrein hyperaktiv, da ist schnell Schluss mit Entspannung. Aber ich arbeite gerne am Erregungslevel. Ich halte ihn für den Schlüsselfaktor, wenn es um Problemverhalten geht.

 

Ein guter Grund, ihm bei jeder Art von Training Beachtung zu schenken, auch (oder gerade dann), wenn es um spannendes wie Mantrailing oder Dummyarbeit geht. Piri z.B. lernt alles, was mit wilder Aktivität zusammenhängt, schnell, gut und hat eine unglaubliche Arbeitsmoral. Aber sie dreht dabei auf bis zum Anschlag. Nicht Höchstleistungen sind daher mein Ziel sondern ein Hund, der lieber etwas kleinere Aufgaben erledigt, diese aber dafür entspannt, konzentriert und souverän.