Eine Lanze für den Problemhund

Aggression ist auch Kommunikation
Aggression ist auch Kommunikation

"Der Hund ist ja aggressiv."

 

Hat der eigene Hund diesen Stempel erst mal weg, dann ist guter Rat häufig teuer. Buchstäblich. Eine ganze Industrie lebt von immer neuen Produkten und Trainingskonzepten rund um jegliches Problemverhalten, das ein Hund so aufweisen kann. Dies allein spricht Bände, wenn man mal darüber nachdenkt, wie viele Probleme so ein durchschnittlicher Hund denn aufweisen kann und wie um alles in der Welt so viele Menschen davon leben können.

 

Daher ist es mir wichtig, erstmal zu unterscheiden, welches Verhalten denn nun wirklich problematisch ist und welches dramatisiert wird.

 

Was wir unseren Hunden abverlangen, würde einen Heiligen in ernste Schwierigkeiten bringen. Wir halten Wachhunde, die nicht wachen dürfen und Jagdhunde, die zwar Bällchen aber keine Kaninchen jagen sollen. Normale Kommunikation zwischen Hunden verstehen wir nicht mehr. Unhöfliches, ruppiges Benehmen wird mit "der will ja nur spielen" oder "er will doch nur mal hallo sagen" entschuldigt.

 

In Ballungsräumen werden Hunde gezwungen, permanent in fremde Reviere einzudringen oder zuzulassen, dass andere ihren persönlichen Wohlfühlabstand unterschreiten. Wagt der Hund es dann, seine Meinung zu äußern, so ist er "aggressiv".

 

Bei dem, was wir unseren Hunde so zumuten wundert es mich nicht, dass es immer wieder zu Unfällen mit Hunden kommt. Im Gegenteil, ich bin schwer beeindruckt davon, wie viele Hunde sich unter den gegebenen Umständen völlig unauffällig verhalten.

 

Doch es hilft ja nichts, die Welt ist, wie sie ist und unsere Hunde müssen sich darin zurechtfinden. Unsere Aufgabe ist es, ihnen zu zeigen, wie man das macht.

 

Was ist nun also ein "Problemhund"? Im Grunde sagt das Wort überhaupt nichts aus. Probleme beginnen da, wo Mensch und Hund nicht mehr miteinander glücklich sind und enden dort, wo andere, sei es Mensch oder Tier, gefährdet werden. Manche Probleme können schnell behoben werden, wenn Hund und Halter lernen, besser miteinander zu kommunizieren. Andere Probleme sind schwerwiegender und führen nicht selten entweder zur Abgabe des Hundes oder bis hin zur Isolation des Halters, weil er sich nicht mehr traut, Besucher zu empfangen oder zu normalen Zeiten auf die Straße zu gehen.

 

Einen aggressiven Hund zu Hause zu haben, kann den verständnisvollsten Menschen an die Grenzen der Belastbarkeit bringen. Um zu verstehen, was es heißt sich tagtäglich mit einem tobenden Hund auseinanderzusetzen, muss man es am eigenen Leib erfahren haben.

 

Die Sorgen, Ängste und Nöte können enorme Ausmaße annehmen. Was soll man tun, wenn die x-te, totsichere Methode immer noch nicht greift, wenn man sich fragt, ob es jemals besser oder vielleicht eher noch schlimmer werden wird, wenn man nur noch schräge Blicke und verständnislose Kommentare erntet und trotzdem weiß, man liebt diesen Hund heiß und innig?

 

Die Antwort ist simpel: durchhalten, lernen, sich weiter entwickeln. Vielleicht wird der Hund niemals perfekt, aber eins kann man auf jeden Fall:  mit ihm zurecht zu kommen und wieder Spaß miteinander haben.

 

Denn diese Hunde sind es wert. Sie haben - man glaubt es kaum - auch ihre guten Seiten. Meiner Erfahrung nach sind sie durchgehend sehr intelligent. Sie lernen unheimlich schnell, sowohl das Gute, als auch das Schlechte. Sie fordern ihren Halter und hinterfragen seine Entscheidungen, anstatt ihm blind zu folgen. Man muss sie überzeugen, dass man seiner Führungsrolle auch gewachsen ist. Hat man das geschafft, dann sind sie die großartigsten Begleiter, die man sich vorstellen kann.

 

Doch wie erreicht man dieses Ziel? Den Standardweg gibt es nicht. Jeder Hund ist anders und jeder Mensch auch. Methoden, die der eine überzeugend umsetzen kann, liegen dem nächsten überhaupt nicht. Mensch und Hund, beide müssen ihrer Persönlichkeit entsprechend trainieren, um zum Team zusammenwachsen zu können.

 

In diesem Zusammenhang hört man häufig den Begriff "Grenzen setzen". Grenzen sind im Umgang mit Hunden ein wichtiges Thema. Es gibt Hunde, die haben nie gelernt, Grenzen zu respektieren. Und dann gibt es Hunde, deren eigene Grenzen werden jeden Tag ein Dutzend mal überschritten, bis sie anfangen, sich zu wehren. Beides sollte man ernst nehmen.

 

Wie eng ein Hund seine Grenzen setzt, hängt von der Rasse ab, von seinem Charakter oder auch seinen bisherigen Erfahrungen. Die gute Nachricht ist: Grenzen sind nicht in Stein gemeißelt. Aber wenn ich an diesen Grenzen arbeiten will, dann muss ich meinem Hund erstmal zugestehen, dass er sie hat.

 

An oberster Stelle bei der Arbeit an Problemverhalten steht Sicherheit. Für den Halter, die Umwelt und auch für den Hund. Viele aggressive Hunde sind unglaublich unsicher und agieren aus dieser Unsicherheit heraus aggressiv. Menschen sind da nicht anders. Wer unsicher ist, wird schneller laut, schlägt schneller zu, als ein in sich ruhender, selbstbewusster Mensch.

 

Wie vermittle ich also meinem Hund Sicherheit? Indem ich mich selbst sicher fühle. Wenn der Halter sich mit seinem Hund nicht sicher fühlt, dann kann er auch nicht überzeugend auftreten. Hunde sind Meister darin uns zu lesen und sie werden immer wissen, ob wir tatsächlich ruhig und gelassen sind oder dies nur vortäuschen. Manchmal bedeutet es, dass man erst Maßnahmen zum Management des Hundes ergreifen, dass man das Vertrauen in sich selbst und in den Hund zurück gewinnen muss, bevor man das eigentliche Problem effektiv angehen kann. Oft genug führt ein selbstsicherer, gelassener Umgang mit dem Hund aber auch schon dazu, dass ein Großteil des Problems von selbst verschwindet.

 

Der nächste wichtige Punkt ist Führung. Da stellt sich jedoch gleich mal die Frage, was ist Führung? Wie unterscheidet sie sich von Unterdrückung? Was ist der Unterschied zwischen Respekt und Angst? Gehorsam aus Überzeugung und simplem Parieren?

 

Ich frage mich gerne, was erwarte ich von einem guten Chef? Dass er mir meine Arbeit erklärt und mir Zeit lässt, mich mit ihr auseinander zu setzen. Das er mir Aufgaben zutraut, ohne mich zu überfordern. Dass er kompetent ist und weiß, wo es lang geht. Dass er seinen eigenen Job macht und nicht nur von mir erwartet, dass ich meinen erledige. Dass er mir Fehler zugesteht und mir zeigt, wie ich es besser machen kann. Dass er zu mir steht, auch wenn ich es mir gerade mit einem wichtigen Kunden verscherzt habe. Dass er mich nicht ins offene Messer rennen lässt. Dass er voran geht, wenn ich mich nicht traue. Dass er die Ruhe behält, auch wenn um ihn herum das Chaos tobt.

 

Wenn jemand diese Voraussetzungen erfüllt, dann darf er auch mal Dinge von mir verlangen, die mir schwer fallen oder die ich ungern mache. Dann darf er erwarten, dass ich mich anstrenge und dass ich mein bestes gebe, wenn er mich darum bittet.

 

Bevor wir also von unseren Hunden fordern, dass sie unseren Anweisungen folgen, sollten wir erstmal überlegen, ob wir denn unserer eigenen Verantwortung nachkommen.

 

Führung bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und sich Vertrauen zu erarbeiten.

 

Viele Problemhunde sind solch anspruchsvolle Mitarbeiter. Sie fordern viel, sind aber auch bereit, viel zu geben. Wenn die Bedingungen stimmen. Man lernt von ihnen für's Leben, denn die Fähigkeiten, die wir im Umgang mit ihnen entwickeln müssen, werden uns auch in anderen kritischen Situationen weiterhelfen. Diese Hunde können eine Plage sein oder der beste Persönlichkeitscoach, den man sich vorstellen kann. Man kann mit ihnen im Dauerclinch liegen oder sich zusammenraufen. Die Entscheidung liegt bei uns.