Strafe muss sein! Oder doch nicht?

"Ich möchte gewaltfrei und ohne Strafen trainieren."

 

Diesen Satz hört man häufig und er bringt mich immer etwas ins Grübeln. Gewalt hat natürlich nichts in der Hundeerziehung verloren und es herrscht inzwischen Einigkeit darüber, dass positive Verstärkung die Grundlage eines jeden Trainings bilden sollte, aber wie ist es mit Strafen? Strafe wird häufig mit Gewalt gleichgesetzt, aber ist es wirklich das selbe?

 

Schauen wir uns mal folgende Sätze etwas näher an:

 

1. Das ist die reinste Strafarbeit.

2. Diese Veranstaltung ist echt eine Strafe.

3. Kleine Sünden straft der liebe Gott sofort.

4. Das ist die Strafe für Deine Eitelkeit/Faulheit/Schlampigkeit

 

In der Regel hat man in Situationen, in denen man die oben genannten Sätze verwendet, weder eine Ohrfeige bekommen, noch wurde man in Angst und Schrecken versetzt. Trotzdem empfanden wir die Umstände als "Strafe". Warum?

 

Strafe ist eine unangenehme Erfahrung, eine Situation, die man aushalten musste, Frust, den man empfand, eine Enttäuschung, die man erlebte. Hunde sind da nicht anders. Auch Hunde können die verschiedensten Dinge als Strafe empfinden, nicht nur Schläge und Einschüchterung.

 

Ein paar Beispiele:

 

1. Mein Hund spielt mit einem anderen Hund. Ich möchte weitergehen, aber er kommt nicht. Ich leine ihn an und gehe mit ihm weg.

 

2. Mein Hund versucht, mir die Salami von meinem Brot zu klauen. Ich ermahne ihn, dies zu lassen und schicke ihn, weil er es trotzdem wieder versucht, auf seinen Platz.

 

3. Mein Hund springt an mir hoch. Ich drehe mich von ihm weg, bis er mit allen vieren auf dem Boden steht und kümmere mich erst dann um ihn.

 

Niemand würde die beschriebenen Situationen als unangemessene Gewalteinwirkung bezeichnen, aber Strafen sind es trotzdem.

 

Strafe bedeutet nichts weiter, als dass ein Verhalten unangenehme Konsequenzen für den Hund hat. Wie unangenehm ist für die reine Definition irrelevant, für das Training aber natürlich nicht.

 

Wissenschaftler unterscheiden zwei verschiedene Arten von Strafen, die positive Strafe und die negative Strafe. Diese Begriffe führen oft zur Verwirrung, da "positiv" als "gut" und "negativ" als "schlecht" interpretiert wird. Tatsächlich handelt es sich um mathematische Begriffe.

 

Positiv bedeutet, es wird etwas hinzu gefügt, negativ, dass etwas weggenommen oder vorenthalten wird. Daher werde ich im weiteren Text von +Strafe und -Strafe sprechen. Vielleicht macht das die Sache etwas klarer.

 

Wo ist also der Unterschied zwischen +Strafe und -Strafe?

 

+Strafe: etwas Unangenehmes (Schmerz, Angst, Frust) wird hinzugefügt

-Strafe: etwas Angenehmes (Futter, Spielzeug, Aufmerksamkeit, Bewegungsfreiheit) wird weggenommen.

 

Hier sieht man schon dass eine Grenze zwischen +Strafe und -Strafe nicht leicht zu ziehen ist. Wenn ich einem Hund die Bewegungsfreiheit wegnehme (z.B. durch Anleinen), so kann das durchaus zu Frust führen, eventuell auch zu Angst, wenn ein Hund Probleme mit der Leine hat. Es kommt also nicht so sehr darauf an, was der Mensch als Strafe definiert, sondern was der Hund empfindet.

 

Ein Beispiel:

 

Mein Hund läuft voraus. Ich rufe ihn. Er hört nicht. Ich verstecke mich hinter einem Busch. Der Hund dreht sich um und merkt, ich bin weg.

 

Ist das nun eine -Strafe (ich nehme dem Hund meine Anwesenheit weg) oder eine +Strafe (ich versetze ihm einen Schock)?

 

Mein Wolli, ein sehr selbständiger Hund, der fast sein ganzes Leben auf sich allein gestellt war, wird feststellen: "Oh, Frauchen ist weg! Dumm gelaufen." Dann wird er erstmal in Ruhe beenden, was ihn beschäftigt hat und sich anschließend auf die Suche nach mir machen. Es sei denn, irgendwas anderes Spannendes kreuzt seinen Weg, dann ist die Suche nicht mehr so wichtig.

 

Meine Piri dagegen, die sehr unsicher und unselbständig ist, stellt fest, dass ich weg bin, gerät in Panik und rast kopflos in der Gegend herum. Das ist so heftig, dass ich mit ihr sogar geübt habe, dass ich "verschwinde", damit sie, falls sie tatsächlich mal verloren geht, ihren Kopf und ihre Nase einsetzt und zu mir zurück findet.

 

Zwei Hunde, eine Maßnahme, zwei völlig unterschiedliche Ergebnisse.

 

Es gibt Hunde, die es als angenehm empfinden, in stressigen Situationen beruhigend gestreichelt zu werden. Andere tolerieren unter Stress keinen Körperkontakt. Manche Hunde empfinden die Leine als Einschränkung, anderen kann sie Sicherheit geben. Wenn ich mit Piri auswärts zu Besuch bin, kann sie nur schlafen, wenn ich sie anleine. Dann weiß sie, ich hänge am anderen Ende und verschwinde nicht heimlich. Sie kann also beruhigt die Augen zumachen.

 

Machen wir uns also frei davon, Dinge, die wir tun, aus menschlicher Sicht in Kategorien einzuteilen. Betrachten wir lieber unsere Hunde und beurteilen die Wirkung aus ihrer Sicht.

Doch zurück zum Thema "Strafen". Wir sind uns also einig, dass wir unseren Hunden keine Schmerzen zufügen und sie auch nicht in Angst und Schrecken versetzen wollen. Doch wie ist es mit Frust? Darf ich meinen Hund frustrieren? Muss ich es vielleicht sogar?

 

Fest steht: Hunde müssen lernen, Frust auszuhalten. Dazu muss ich sie ab und zu mal frusten, sonst kann der Hund es auch nicht lernen. Zuviel Frust kann aber auch nach hinten losgehen, also muss ich auch Frust dosiert "verabreichen" und darauf achten, dass mein Hund noch in der Lage ist, diesen zu verarbeiten.

 

Beispiel:

 

Mein Hund soll an der Leine laufen. Er erblickt einen anderen Hund und möchte hin und spielen. Ich lasse ihn aber nicht hin, denn er soll ja jetzt an der Leine laufen. Mein Hund empfindet Frust und verknüpft dieses Gefühl mit dem Anblick des anderen Hundes.

 

Wer jetzt denkt, Frust ist doch nichts schlimmes und das wird so ein Hund ja wohl aushalten können, der möge sich an das letzte mal erinnern, als er unter Zeitdruck stand und direkt in einen 10 km Stau fuhr. Es gibt Menschen, die werden in solchen Situationen gewalttätig. Hunde sind da nicht anders. Das oben genannte Beispiel ist eine beliebte Art und Weise, sich einen Leinenpöbler heranzuziehen.

 

Nichts desto trotz kann ich meinem Hund nicht in allen seinen Wünschen nachgeben und er muss lernen, sich mit Frust auseinander zu setzen. Zumal ich mir sicher bin, dass die meisten von uns ihren Hunden immer wieder mal Frust als Strafe zumuten. Denn ganz ohne Strafe, also ohne dass der Hund jemals erlebt, dass seine Handlungen unangenehme Konsequenzen wie Frust oder Enttäuschung nach sich ziehen können, halte ich Hundetraining für schwierig.

 

Allerdings sollte man sich gut überlegen, was man durch den Einsatz von Strafe erreichen will. In der Regel lernt der Hund durch Strafe nicht, etwas zu tun, er lernt nur, etwas zu lassen. So unterbindet man vielleicht unerwünschtes Verhalten, aber man killt auch die Motivation.

 

Ein Beispiel:

 

Ein Kind sitzt in einem Zimmer voller Spielsachen. Mit einigen davon darf es spielen, mit den meisten nicht. Es weiß aber nicht, welche Spielsachen erlaubt und welche verboten sind. Jedes Mal, wenn das Kind nun ein unerlaubtes Spielzeug anfasst, sage ich "nein". Da es aber viel mehr verbotene als erlaubte Spielzeuge im Raum gibt, kassiert das Kind eine Menge "nein", bevor es endlich mal eins in die Hand nimmt, mit dem es spielen darf.

 

Hat das Kind Spaß oder eher nicht? Ist es fröhlich, selbstbewusst, neugierig unterwegs oder verliert es nach dem fünften "nein" die Lust? Wäre es nicht fairer, dem Kind von Anfang an zu sagen, welche Spielzeuge es haben darf und welche tabu sind? Und wäre es nicht sogar noch besser, würde ich mit ihm zusammen mit den erlaubten Spielzeugen spielen? Würde das nicht die Wahrscheinlichkeit steigern, dass es beim nächsten mal gleich das Spielzeug nimmt, mit dem wir beim letzten mal soviel Spaß hatten?

 

Daher ist es mir sehr wichtig, dass dem Halter klar ist, wann er Strafen einsetzt und wie diese beim Hund ankommen. Nichts ist schlimmer, als zu glauben, man trainiere "rein positiv", während man den Hund doch immer wieder unangenehmen Dingen aussetzt. Hält man diese für "nicht schlimm", nur weil man nicht schlägt, ruckt oder brüllt, dann setzt man sie schnell und unbewusst ein. Mit Strafen sollte aber immer bewusst umgegangen werden, auch wenn sie aus menschlicher Sicht vielleicht harmlos wirken.